Samstag, Februar 23, 2008

Drinnen und Draußen

Wenn es dir hier - will sagen in Amerika - nicht gut geht, dann weißt du schon mal, dass es keinen Hausarzt mit Notdienst gibt. Du musst also auf jeden Fall in die Notaufnahme eines Krankenhauses fahren, um dich versorgen zu lassen. Das überlegst du dir natürlich zweimal, wenn es sich nur um ein Wehwechen handelt. Außerdem musst du kalkulieren, wann du am besten hingehst. Morgens um 7 ist schlecht, da gehen alle die keinen Arztermin mehr bekommen haben, abends um 7 ist auch schlecht aus dem gleichen Grund, bzw. weil die Arztpraxen nun zu haben. Mein sogenannter "Hausarzt" ist nun auch Freitags geschlossen. Schönes Leben.

Zurück zur Notaufnahme oder dem Titel der Fernsehserie: Emergency Room oder ER (sprich: IEH AR [heiße Kartoffel oder Kieselstein im Mund]). Wenn du dort ankommst und es sind weniger als vierzig Wartende da, dann kannst du schon mal von Glück sagen, weil du dann nur 3 oder 4 Stunden warten musst wenn du Glück hast und zwischendurch keine Herzinfarkte oder halb-heraushängende Gehirnlappen eingeliefert werden. Ansonsten sind alle drinnen und draußen gleich: Man wartet bis man dran ist. Man wartet, wird zwischendurch aufgerufen und "erfasst", Blutdruck, Gewicht, Temperatur, Symptome, Medikamenteneinnahme werden abgefragt, ehe man wieder auf die Wartebank zurückdarf.

Dort wird man dann beschallt von drei verschiedenen Fernsehgeräten mit drei verschiedenen Programmen beschallt. Eins davon hängt in der Kinderecke und strahlt - egal ob Kinder im Raum - einen von den Kindersendern in voller Lautstärke aus. Das kommt besonders gut, wenn der letzte Platz in der Nähe dieses Apparats ist, eh keine Kinder da sind, und dir der Schädel schier platzt weil du Grippe und Fieber hast. Aus der anderen Ecke kommt dir irgendein Krimi entgegen und der dritte Fernseher unterhält dich mit einer spanischen Seifenoper. Damit sich niemand diskrimiert fühlt.

Zur Unterhaltung, so man denn die Augen aufhalten kann trägt natürlich auch das Leute beobachten bei. "Nur noch 25 bis ich dran bin, nur noch 24..."; "was der wohl hat, ach die arme Frau, die sich vor Schmerzen krümmt". Aber hier draußen sind alle gleich. Die Schwester am Empfang kann sie nicht schneller drannehmen, auch wenn sie sich schon seit drei Stunden rhythmisch vor Schmerzen hin- und herwiegt. Als der Ehemann nachfragt, beruhigt sie die Schwester, dass sie bald drankommt, aber es vergeht noch eine weitere Stunde und drei weitere Patienten werden nach "drinnen" gerufen ehe sie endlich dran ist.

Mein Timing war also gut, als ich Dienstag morgens um halb fünf beschloss, in den ER zu fahren um, meine Grippe in Griff zu bekommen bzw. um eine Diagnose und Krankschreibung zu bekommen. Es waren "nur" ca. 10 Leute da, als ich eintrudelte, das sah gut aus, aber beim Empfang ging der Computer nicht und der junge Soldat meinte nur lapidar,macht nix, machen wir von Hand, weil wir eh frühestens in 2 Stunden den nächsten reinrufen können. Also habe ich es mir schüttelgefrostet und kopfbeschmerzt so weit wie möglich vom Kinderfernsehen entfernt bequem gemacht.

Um 6 Uhr morgens wurde ich aber schon nach "drinnen" gerufen. Drinnen und draußen sind wirklich streng getrennt, nicht nur durch die elektrische Glastür, die nur per Nummerncode von außen zu öffnen ist. Draußen weiß nicht was nicht drinnen vor sich geht, warum über eine Stunde niemand reingerufen wird. Drinnen hat keine Ahnung, wer sich draußen vor Schmerzen wälzt, im Fieberdilirium ist oder bereits den 10. Spucknapf füllt. "

Drinnen also, durfte ich mich frei machen, auf eine Pritsche legen und weiter warten. Und warten. Um 6 Uhr 30 kam dann eine Schwester und hat wieder Blutdruck und Temperatur gemessen und Symptome abgefragt. Dann weiterwarten, abbibbern im Hemdchen ohne den dicken Pullover. Immer wieder einnicken, dabei im Halbschlaf die Diagnosen auf den 8 andern Pritschen mithören: Pfeifersches Drüsenfieber, Gleichgewichtsstörungen, Herzprobleme. Dann Schichtwechsel zur Tagschicht ohne eine Arzt gesehen zu haben. Den neuen ER-Chef höre ich laut schimpfen, einteilen, Leute einnorden. Die Urinprobe, die ein junge Frau um 5 Uhr abgegeben hatte stand immer noch im Bio-Pack im Warteraum und war nicht zum Labor gebracht worden. Die Frau in Bett 6 (ich) brauchte einen Nasenabstrich auf Influenza-Viren.

Das passierte auch gleich. Ein junger Soldat (denn mein ER ist im nahegelegenen Militärkrankenhaus), also ein Krankenpfleger in Camouflage-Uniform und Kampfstiefeln ließ es mich selber machen, da er doch etwas grobmotorisch unterwegs war. Dann wieder warten. Das Drüsenfieber will nicht trinken, Arzt droht mit Infusion. Die Frau neben mir fühlt sich nicht ernst genommen und versteht nicht, dass im ER nur Notfallversorgung stattfinden kann und keine Untersuchung chronischer Probleme. Ich nicke wieder ein und höre im Halbschlaf wie der der Chef moniert, dass das Labor keine Stunde für einen Influenza-Abstrich zu brauchen hat, dass das alles viel zu lange dauert. Um 8:30 kommt dann der Arzt (ebenfalls in BDU [battle dress uniform] und Kampfstiefeln) um mich abzuhören, mein Lymphknoten abzutasten etc. Dabei erzählt er mir, dass seine Grippe-Impfung nicht gewirkt hat und er seine ganze FAmilie angesteckt hat. Er konnte mir alle Symptome vorbeten und ich musste nur noch nicken.

Leider habe ich zu lange gewartet mit dem Arztbesuch und es war zu spät für mich das Antivirenmittel zu bekommen. Er verschreibt mir also Ibuprofen, Bettruhe und viel Wasser. Die Krankschreibung ist bis Montag. Das wollte ich da noch nicht glauben, aber heute ist schon Samstag und ich komme gerade mal aus dem Koma wieder hoch... Dann musste ich nur noch in die Apotheke im Keller des Krankenhauses wanken und dort meine Bazillen unter 100 weiteren Leuten verteilen, um mein Ibuprofen abzuholen. Dann konnte ich nach Hause, wo ich die letzten Tage nur im Bett, meist schlafend verbracht habe.

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